Nach "Rings of Power" und "House of the Dragon" gibt es im Winter eine Fantasy-Lücke zu schließen. Die finale Staffel von "His Dark Materials" könnte das leisten.
Eine Rezension von Magdalena Pulz
In einer Zeit, in der wenig so sehr geliebt wird wie Geschichten, die die graueRealität herausfordern – egal ob durch Superhelden, Drachen oder Ringe derMacht – muss man sich fragen, wie His Dark Materials drei Jahre lang sounbemerkt bleiben konnte. Auf den ersten Blick bringt die Fantasy-Seriealles mit, um ein großes Publikum zu gewinnen: eineinnovative und intelligente Buchvorlage des britischen Autors Philip Pullman,einen fantastischen Cast (etwa James McAvoy, von dem niemand weiß, warum ereigentlich noch keinen Oscar hat, aber auch Lin-Manuel Miranda, Andrew Scottund Dafne Keen, die bereits in jungen Jahren durch Marvels Logan Prominenz erreicht hat), einen fulminanten Soundtrack, aufwendigeAnimationen, erstaunliche Landschaften, ja, sogar das Multiversum spielt eineRolle.
Nun geht BBCs und HBOs His Dark Material in die dritte und finaleStaffel, aber der Hype hält sich in Grenzen. Zu Recht, oder entgeht einemda ein Stück epische Seriengeschichte?
Eines ist offensichtlich: Die Macher von His Dark Materials habensich größte Mühe gegeben, Pullmans eleganter literarischer Vorlage gerecht zuwerden. Ganz generell folgt der Plot zwei Teenagern, der aufgeweckten LyraBelacqua (Dafne Keen) und ihrem etwas ernsteren Gegenpart Will Parry (AmirWilson), auf der Jagd nach und manchmal auch der Flucht vor ihren Eltern. Aufder Reise erlangen die beiden jeweils einen magischen Gegenstand. Lyra einengoldenen Kompass, dasAlethiometer, das ihr in mehr als einer Weise hilft, denWeg zu finden, und Will ein Messer so scharf, dass es Löcher in andereDimensionen schneiden kann, Tore in andere Welten.
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So weit, so simpel. Aber natürlich steckt sich auch in dieser Geschichteviel mehr: Wills und Lyras Reise wird durch einen Krieg gefährdet,der in allen Dimensionen tobt. Ein Kampf, der nicht zwischen Gut und Böse ausgetragenwird, sondern zwischen Aufklärung und Autorität – buchstäblich Gott. LyrasMutter, die eiskalte Mrs. Coulter (Ruth Wilson), vertritt dabei die Seite derKirche und ihrer getreuen Engel. Lyras Vater, ein fanatischerWissenschaftsrevolutionär namens Lord Asriel (James McAvoy), und seine Vasallenkämpfen um die Befreiung von den Zwängen der Religion. Und dazwischen natürlichimmer die große Frage: Was, wenn beide falsch liegen?
Okay, Religionskritik, das klingt im Jahr 2022 vielleicht erst mal etwas altbacken.Wobei: Als Lord Asriel erfährt, dass die Kirche glaubt, seine Tochter Lyra seidie neue Eva und damit die Mutter aller Sünde, kann man seinen kühlenKommentar schon gut nachfühlen: "Die glauben eine ganze Menge ausgefallenenUnsinn." Derartige Kritik taucht in der Serie auch in subtilerer Form auf, etwain einer romantischen Szene, als Balthamos und Baruch – zwei Engel, die einemännliche Gestalt gewählt haben – sich liebevoll zum Abschied küssen. Schwule Engel! Das ist längst nicht das einzige queere Narrativ in His Dark Materials. Das dürfte vor allem den Menschen gefallen, diedie Anti-LGBTQI-Meinungen von einigen Kirchenvertretern oft ebenfalls für ausgefallenen Unsinn halten und auch deswegen aus der katholischenKirche austreten.
Auch wenn His Dark Materials bisher keinen Hype ausgelöst hat, sind dieersten beiden Staffeln der Serie weitestgehend positiv aufgenommen worden. Leserder Bücher wissen aber, dass es die dritte Staffel ist, mit der sich zeigen wird, obdie TV-Serie das komplexe Werk von Pullman auf den Bildschirm zuübersetzen versteht. Der Kampf von Wissenschaft und Religion umdie Hoheit über das Multiversum erreicht hier seinen Höhepunkt, außerdem müssen nun alle Fäden zusammengeführt werden: Die verschiedenen Welten, dasRätsel um die Gespenster, die Hexen, die kämpfenden Eisbären und vor allemdas Geheimnis des unsichtbaren Staubes, der seit der ersten Staffel eines derganz großen Mysterien darstellt. Und es ist auch diese dritte Staffel, dieeinen in die vielleicht ausgefallensten Welten mitnimmt, etwa ins Reich derToten, aber auch in eine Welt, in der Tiere mit Rüsseln auf großen Nüssen durchdie Natur fahren. Klingt seltsam, wird aber tatsächlich visuell elegantgelöst.
HisDark Materials ist handwerklich liebevoll gestaltet, egal ob es um Setdesign,Kostüm oder Animationen geht, und allein deswegen schon sehenswert. Auch dieDarstellerinnen und Darsteller liefern Performances, mit denen sie ihre Arbeitder ersten beiden Staffeln noch übertreffen: Keen, die sich als Lyra vonFreunden trennen muss, um sie zu retten, McAvoy, der sich als Lord Asriel derFrage stellen muss, wie weit er wirklich bereit ist, für seine Revolution zugehen, Wilson, die die vielleicht interessanteste Mutterrolle in der Historievon Fantasy mit dem genau richtigen Maß an Grausamkeit, Schmerz undWillenskraft füllt.
Und doch, zur Perfektion hat es in His Dark Materials nicht gereicht. Sobombastisch die letzten Folgen sein mögen, so verwirrend sind die ersten Episoden derdritten Staffel: Wer jetzt wen wann wo in welchen Welten kennengelernt hat und die sich ständig ändernden Personen- und Machtkonstellationen machen eseinem nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten. Selbst das wäre vielleichtnicht weiter dramatisch, schließlich sind Zuschauer durch Serien wie Lost, Dark oder Westworld auch gewohnt, sich bis zum mehr oder minder GrandeFinale hinhalten zu lassen.
Aber vielleicht ist His Dark Materials bisher auch kein Publikumserfolggeworden, weil es sich selbst eine Spur zu ernst nimmt. Trotz aller großerphilosophischer Fragen, am Ende ist es eben auch eine Coming-of-Age-Erzählung.Das Erwachsenwerden von Lyra und Will spielt für die Handlung eine ganzzentrale Rolle. Dass Teenager auch mal albern und oberflächlich sind, blödeWitze reißen oder aus Unsicherheit Fehler machen, das ist etwas, dasvergleichbare Fantasy-Epen wie etwa Harry Potter so erfolgreich gemacht hat.Und das ist etwas, das in dieser Serie auf jeden Fall zu kurz kommt: dasTeenager-Herz.
Vielleicht ist dieser Winter dergenau richtige Moment, diese Serie anzuschauen, diesesbisschen Eskapismus sei einem zwischen Klimakrise, Krieg und Pandemie gegönnt. Die besten Fantasy-Geschichten geben einem auch noch etwas mit, Herr der Ringe etwa, dass Hoffnung auch am dunkelsten Ort zu finden ist.Und auch in His Dark Materials kann, wer sucht, eine Botschaft finden: Selbstwenn man seinen Glauben an Gott verloren hat, lohnt es sich, an etwas zu glauben, dass die Welt zusammenhält.
"His Dark Materials" läuft auf Sky.